Unterwegs auf die Hohe Dirn

Nixen, Hexen und Poeten

Wenn jemand auf Wanderschaft geht, so kann er was erzählen. Besonders viel erzählen lässt sich über unsere nähere Umgebung. Wir wollten den Beweis antreten und haben uns auf der Hohen Dirn umgesehen.

HERBSTZEIT IST WANDERZEIT

Um das Glück des Wanderers zu ergreifen, müssen wir – frei nach Goethe – nicht in die Ferne schweifen. Gerade im Ennstal liegt das Gute ja so nah. Für uns liegt es heute am Gipfel der Hohen Dirn.

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Auf den 1134 Meter hohen Berg führen viele Wege. Wir haben uns für den seltener begangenen Pfad durch den Klausgraben entschieden. Dazu radeln wir von Losenstein entlang des Ennstal-Radwegs nach Norden und biegen in den Goldgrubweg ein. Die Anfahrt mit dem Auto empfiehlt sich aufgrund mangelnder Parkplätze eher nicht.

So eng wie die Zufahrt ist auch der wildromantische Graben, durch den wir zu Fuß aufsteigen. Hirschzungen, geschützte Sporengewächse ähnlich den Farnen, säumen die Schlucht. Im Mittelalter war die Pflanze als „Hexenkraut“ bekannt und wurde gegen Schwermut verordnet.

Wir haben die heilkräftigen Wirkstoffe freilich nicht vonnöten, sind wir doch bester Laune angesichts schroffer Felswände, plätschernder Wasserfälle und der liebevoll angelegten Stege im Klausgraben. Die Hinweistafel „Anspruchsvoller Steig“ findet sich hier zu Recht. An manchen Stellen geht es steil hinunter, Trittsicherheit ist vonnöten. Eine Familie mit Kleinkind, der wir unterwegs begegnen, macht bald wieder kehrt.

Am Ende des Grabens steigen wir zum Hintsteiner-Hof (Sattelbauer) auf, der zwischen Reitnerkogel und Hoher Dirn liegt. Nach links ginge es zur Dirn. Wir wenden uns nach rechts, für einen Abstecher zur Nixlucke.

VON HAMMERHERREN UND HÖHLENBÄREN

Nach gut einer Viertelstunde erreichen wir das mächtige Portal dieser Naturhöhle. Wir sind nicht allein. In unmittelbarer Nähe kraxeln Kletterer mit nacktem Oberkörper die Felswände hoch, die sich hier fast senkrecht zum Reitnerstein erheben. Eine der Routen führt direkt über das überhängende Höhlenportal (Schwierigkeitsgrad: 10-)!


Der Sage nach sandte der Herr des Hammerschlössls im Laussabachtal vor Zeiten seine besten Jäger zur Nixlucke, um einen großen Bären zu erlegen, der die Gegend in Angst und Schrecken versetzte. Das gelang den Jägern zwar, als sie aber die Höhle betraten, trafen sie auf eine Hexe, die den Teufel beschwor. Wie das Geschehen der Nachwelt überliefert werden konnte, lässt die Erzählung unbeantwortet, denn die Jäger selbst wurden niemals mehr gesehen…

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Wie so viele Sagen hat auch diese einen wahren Kern: Tatsächlich hausten in der Nixlucke einst die Bären, genauer gesagt: die Höhlenbären. Die waren zwar größer als die heute lebenden Bärenarten, ernährten sich jedoch pflanzlich. Bei Grabungen Mitte der 1980er-Jahre wurden die „Reste sehr großer Individuen“ gefunden, wie es im Grabungsbericht heißt. Außerdem besonders viele Milchzähne, woraus die Forscher schlossen, dass es sich um einen Wurf- und Überwinterungsplatz gehandelt haben muss.

Höhlenbären waren nicht die Einzigen, die der Höhle einen Besuch abstatteten. Ausgegraben wurden auch Schaber und Klingen aus Hornstein. Damit zählt die Nixlucke zu den bedeutendsten Fundstätten der Altsteinzeit in Oberösterreich.

Wir lassen uns weder durch Bären noch durch Hexen abschrecken und machen uns mit Stirnlampen auf den Weg ins Innere der 50 Meter langen Höhle. Als wir um die Ecke biegen, erhebt sich eine bis zur Decke reichende Tropfsteinsäule vor uns. 

„Sieht aus wie eine Frauenstatue“, wispert eine Begleiterin. Im oberen Bereich der Säule ist mit etwas Fantasie tatsächlich ein fein geschnittenes Gesicht zu erkennen. Die namengebende Nixe? Allerdings bezieht sich die Bezeichnung „Nix“ – auch als „Mondmilch“ bekannt – auf die weißen Sinterablagerungen, die im hintersten Teil der Höhle den Boden bedecken.

Von der Nixlucke geht es zurück zum Hintsteiner Sattel, von wo wir direkt zur Hohen Dirn aufsteigen. Der Weg, der mehrmals eine Forststraße quert, führt steil durch den Wald. Am Gipfel eröffnet sich ein Panoramablick nach Norden – von der Stadt Steyr über den Hochbuchberg bis hin zum Almboden unter dem Schoberstein.

Unsere Jause lassen wir im Rucksack, denn von der Hohen Dirn ist es nur ein Hüpfer zur Anton-Schosser-Hütte, wo Pächter Franz Kastner heute mit selbstgemachten Hascheeknödeln aufwartet. Die sind ebenso empfehlenswert wie die Bauernkrapfen!

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Anton Schosser, nach dem die Hütte benannt ist, ist vor allem für seinen Erzherzog-Johann-Jodler bekannt. Als wir uns der Einkehr nähern, stimmen wir die ersten Zeilen an: „Wo i geh und steh, tut ma’s Herz so weh …“ – „Und mir tut der Hintern weh“, sagt eine Radlerin, die von Losenstein hochgefahren ist und noch etwas steif vom Rad steigt.

Dem Dichter dieser Zeilen und zahlreicher weiterer Lieder, die zu bekannten Melodien gesungen wurden, war wenig Glück beschieden. Der 1801 im Stiedelsbach-Tal als Sohn eines Nagelschmiedgesellen geborene Schosser starb mit nur 48 Jahren in Steyr. 

Das „Biographische Lexikon des Kaisertums Österreich“ widmet dem in finanzieller Hinsicht erfolglosen Künstler mehrere Seiten. „Anton war ein schwächliches Kind, dem die Ärzte kein hohes Alter prophezeiten“, heißt es in dem Lexikoneintrag von 1876. Dank des Losensteiner Pfarrers durfte Schosser das Gymnasium in Melk besuchen. Das anschließende Studium brach er ebenso ab wie später die Arbeit als Lehrer in Kleinreifling. 

Anstatt zu unterrichten, soll er lieber seltene Pflanzen in den Bergen gesucht und Lieder gedichtet haben. Nach einigen Jahren, in denen er als Landvermesser unterwegs war, kehrte er nach Losenstein zurück. Dort „wohnte er denn in dem kleinen Häuschen seiner armen Schwester, kränkelnd, verdrossen, sein Nachtlager war die harte Ofenbank, sein Kopfkissen sein grauer Steirerrock mit grünem Kragen“.


Der Abstieg zum Klausgraben erfolgt nun über den Luagstadel. Unterwegs kommen wir an drei kuppelartigen Gebäuden, rund 200 Meter unterhalb der Anton-Schosser-Hütte, vorbei. Es handelt sich um den Star Park der Sternfreunde Steyr. An regelmäßig stattfindenden Beobachtungsabenden gewähren diese den Interessierten einen Blick in den nächtlichen Sternenhimmel.


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28.09.2022 10:03